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Nekrolog auf einen treuen Begleiter

Auch das geschieht in einer Serie wie dieser. Wenige Tage vor den geplanten Aufnahmen für das neue Pferd des Monats verstirbt Shetan - völlig unerwartet und plötzlich. Für seine Besitzerin, Martina Stöbe, ein Schock und zugleich schwerer Verlust. Hier blickt sie in diesem Monat noch einmal zurück und schreibt rückblickend über 22 Jahre, in denen der Araber-Mix sie begleitete.

Mit 9 Jahren fing ich an auf ein Pferd zu sparen. Alles Geld von Eltern, Tanten und Omas trug ich auf die Bank. Mein Motto lautete immer: Eis gibt es bei Mama in der Tiefkühltruhe und die Filme im Kino kommen ja irgendwann auf Video oder im Fernsehen.
Der Kauf von Shetan war dann reiner Zufall und nicht geplant. Ich war mit meinen Eltern unterwegs, um Pferde anzuschauen. Wir fuhren zum Stall von Wolfgang Krischke (heute Inhaber der Bückeburger Hofreitschule) und sahen dort einen Knappstrupper Hengst und zwei Stuten. Die Pferde waren gut gebaut und zeigten schöne Bewegungen. Aber der Letzte, der in der Halle vorgeführt wurde, ist mir direkt ins Herz galoppiert: Es war ein kleiner, dürrer, grauer, 3-jähriger, roher und noch nicht gerittener Araber-Mix. Als sich Shetan in Bewegung setzte und die ersten Trabschritte zeigte, funkelten meine Augen so sehr, dass meinen Eltern klar war, dass ich mich verliebt hatte - in dieses eine Pferd. Am nächsten Morgen, am 1. Mai 1990, fuhren wir erneut in die Heide und unterschrieben den Kaufvertrag. Jetzt hatte ich ein eigenes Pferd.

Mit 5 Jahren ließ seine Flegelphase mich regelmäßig im Sand enden. Er buckelte wie verrückt, kam dann aber immer zum schnuppern an, um zu prüfen, wen er denn da zurückgelassen hatte. Eine Futterumstellung konnte schließlich den Energieüberschuss bremsen.

Wir fuhren häufig nach Büsum an die See, um dort Urlaub zu machen - verbunden mit langen Ausritten. Auch Ringstechen und kleine Geschicklichkeitswettbewerbe haben wir dort oft mitgemacht. Hallenarbeit war nie so seins, er hatte mehr Spaß im Gelände, beim Springen und Freispringen.

Als ich zur Ausbildung als Physiotherapeutin nach Wilhelmshaven ging, suchte ich eine Reitbeteiligung. Gar nicht so einfach für einige der Bewerber, die Shetan nämlich während des Vorreitens regelmäßig im Sand landen ließ. Als ich nach drei Jahren, im Herbst 2000, zurück nach Hameln kam, merkte ich, wieviel Ausbildung in der langen Zeit verloren gegangen war. Wir entschlossen uns deshalb für einen Lehrgang im FS-Reitzentrum Reken, um uns dort qualifizierten Rat zu holen.

 

 

Ein Jogger und eine Nordic-Walkerin bildeten seine Miniherde

Dort erkannte man schnell, was für ein Schlitzohr Shetan war und konnte uns wertvolle Hilfe geben. Mit klassischem Unterricht war uns nämlich meistens nicht geholfen, da Shetan bei Druck völlig "zu machte" und nicht mehr kooperierte. Schließlich war er früher einmal ohne Druck angeritten worden und verstand nicht, was man nun von ihm wollte. In Reken jedoch wurden wir wieder ein harmonisches Team.

Irgendwann im Sommer bekamen wir schließlich zweibeinige Begleitung. Als mein Papa noch fitter war, joggte er neben uns her, machmal ging auch meine Mutter samt Nordic-Walking-Stöcken mit. Aus Shetans Sicht waren wir "seine" Miniherde. Wenn wir am Berg schneller als die "Zweibeiner" waren, hielt Shetan immer von sich aus an und wartete, bis alle seine Herdenmitglieder wieder vereint waren.

Vor 6 Jahren hatte Shetan eine schwerwiegende Entzündung des gesamten Fesselbeins. Nach etlichen Behandlungsversuchen hatte der Tierarzt kaum noch Hoffnung, ihn schmerzfrei zu bekommen. Er magerte total ab, sodass man jeden Knochen sehen konnte. In einer Tierklinik sprach man schließlich davon, ihn besser zu erlösen, sollte sich der Zustand innerhalb von sechs Wochen nicht bessern. Ich packte allen Mut zusammen und holte Shetan zurück nach Hause, wo ich ihn in meiner Nähe haben wollte. Zweimal täglich fuhr ich in den Stall, gab ihm seine Medizin, führte ihn aus seiner Box, massierte ihn. Meine Angst war groß, die Zeit würde ablaufen, ohne dass sich sein Gesundheitszustand bessern würde.
Langsam nahm er wieder etwas zu und eines Tages hörte ich beim Rausführen aus der Box einen gleichmäßigen Takt der Hufe. Ich konnte es kaum glauben, so dass ich ihn über den Hof auf die Straße führte und kurz antrabte. Der Takt der Hufe jedoch blieb gleichmäßig - und tatsächlich stellte sich raus, er war über den Berg.

Shetan wurde nun älter und wir suchten nach einem Stall, wo wir ihn auch im Winter gut aufgehoben wussten. So kam es, dass Shetan nach Diedersen umzog. Nach seinem Umzug zog er sich dort wenig später einen Sehnenschaden zu. Wieder einmal stand alles auf der Kippe. Mit 23 Jahren waren die Heilungschancen nicht mehr allzu gut. In dieser Zeit lief mein Vater mit ihm unermüdlich zwei bis dreimal täglich auf Empfehlung des Tierarztes. Nach einigen Monaten dieser Therapie hörte Shetan auf zu lahmen. Zuletzt war er sogar wieder so fit, dass ich mit dem Gedanken spielte, mit ihm noch einmal zu einem Distanzritt aufzubrechen. Doch es sollte alles ganz anders kommen.

 

Meine Mutter wollte mir erst nicht sagen, was passiert ist

Am 1. Mai - genau 22 Jahre, machdem ich Shetan bekommen hatte - wusch ich ihn, longierte ihn zum Trocknen und ritt noch einmal eine Stunde ins Gelände. Er war ruhig, motiviert und ganz entspannt - rückblickend war es der tollste Ritt meines Lebens mit ihm. Dieser perfekte Tag sollte mein Letzter mit Shetan gewesen sein.
Acht Tage später hatte ich in der Nacht kaum geschlafen und war unruhig. Morgens entschied ich mich deshalb, erst später nach Diedersen aufzubrechen. Nach dem Duschen sah ich das Blinken meines Anrufbeantworters und der Handy-Mailbox. Meine Mutter hatte darauf gesprochen, wollte mir nichts Genaues sagen - nur, dass ich schnell zu ihnen kommen solle. Da wusste ich schon: irgendetwas ist passiert. Dann sagte sie mir, Shetan sei tot.

Ich musste mich erst einmal setzen und begann zu weinen. Später hörte ich dann auch die Nachrichten von Familie Marten auf der Mailbox. Meine Eltern sind noch am gleichen Tag hingefahren und haben sich von Shetan verabschiedet. Ich wollte ihn jedoch so in Erinnerung behalten, wie ich ihn am 1. Mai zuletzt erlebt habe. Trotzdem war es nicht leicht, schließlich den Schrank im Stall auszuräumen. Aber es war gut, einen Abschluss zu finden.

Momentan ist es noch eine Last, weiter als Pferdephysiotherapeutin zu arbeiten. Aber es wird jeden Tag etwas leichter, andere Reiter mit ihren Pferden glücklich zu sehen. Trotzdem verursacht der Besuch in Diedersen immer noch weiche Knie und einen Kloß im Hals. Aber ich habe vor, Familie Marten und Diedersen treu zu bleiben, auch ohne eigenes Pferd. Die Zeit mit Shetan werde ich nie vergessen und bin dankbar und froh, ein so tolles, wenn auch schwieriges Pferd getroffen zu haben.

Ich danke Herrn und Frau Marten für die Unterstützung in allen Belangen und ihre getroffene Entscheidung, Shetan zu erlösen, als sie mich telefonisch nicht erreichten.

Text und Fotos: Martina Stöbe

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